Weilburg (jwl). Der Verein „Weilburg erinnert“ macht zum internationalen Holocaustgedenktag gemeinsam mit dem regionalen Fernsehsender „WEILBURG TV“ das Gedenken an die Verfolgten des NS-Regimes in Form eines Onlinestreams möglich. Ab dem 27. Januar, 16.00 Uhr, wird unter dem Link https://weilburg-erinnert.de/gedenken2701 die Aufzeichnung einer Erinnerungsveranstaltung digital bereitstehen und kann jederzeit abgerufen werden.
Weil eine Präsenzveranstaltung aufgrund der aktuellen Corona-Verordnungen nicht möglich ist, haben die Vorstandsmitglieder unter Einhaltung strengster Hygienevorschriften an verschiedenen Standorten in Weilburg fünf Lebensschicksale exemplarisch für alle verfolgten, deportierten und ermordeten Weilburger Bürger durch die Fernsehaufnahme des TV-Teams Ralph und Sabine Gorenflo virtuell publik gemacht. Zum Abschluss wurden im Bereich des jüdischen Friedhofes annähernd 100 Kerzen für die namentlich bekannten und die noch vielen Unbekannten aus Weilburg entzündet; in Erinnerung an das Leiden der Betroffenen und zur Mahnung, „dass Auschwitz nie wieder sei“. Am 27. Januar 1945 befreiten die sowjetischen Truppen das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, dem Ort des planmäßigen Massenmordes an über einer Million europäischer Juden und Tausenden Polen, Sinti und Roma oder sowjetischen Kriegsgefangenen.
„Das Gedenken am 27. Januar verschlägt einem die Sprache“, sagt Markus Huth, erster Vorsitzender des Vereins, „Worte versagen angesichts dieser Tötungsmaschinerie aus Deutschland.“ Die Liste der Opfer des Nationalsozialismus sei endlos, Juden, Christen, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle, politisch Andersdenkende, Männer und Frauen des Widerstandes, Wissenschaftlerinnen, Künstler, Journalistinnen, Kriegsgefangene und Deserteure, Greise und Kinder an der Front, Zwangsarbeiterinnen… Unzählige entrechtet, verfolgt, gequält, ermordet. „Der Nationalsozialismus war auch in Weilburg“, so Huth, „allen Verfolgten ist gemeinsam, dass sie vom NS-Staat aus der ‚Volksgemeinschaft‘ herausdefiniert wurden, nach Auffassung der NS-Ideologie waren sie nicht Bestandteil des ‚gesunden Volkskörpers‘, der zum Paradigma erhoben worden war.“
„Die Ehrfurcht vor der Vergangenheit und die Verantwortung gegenüber der Zukunft geben für’s Leben die richtige Haltung“, diese Worte des noch am 9. April 1945 ermordeten lutherischen Theologen Dietrich Bonhoeffer sei ein Grundmotiv von „Weilburg erinnert e. V.“. Er stehe für „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ seit seiner Gründung 2018, Erinnerung an alle Opfergruppen, die dem NS-Terror zum Opfer fielen. Anlass war auch die vom damaligen Kinder- und Jugendparlament initiierte Ausstellung im Bergbau- und Stadtmuseum „erfasst, verfolgt, vernichtet – kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus“, über die Euthanasiemorde an Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen. In den Tötungsanstalten, Ursprünge der späteren Vernichtungslager, wurde systematisch-industriell sogenanntes „lebensunwerte Menschenleben“ beseitigt, auch in Hadamar.
Der Holocaustgedenktag, von Altbundespräsident Roman Herzog 1996 angeregt und seit 2005 von den Vereinten Nationen offiziell zum internationalen Holocaust-Gedenktag erklärt, gilt als Warnung und Mahnung, jegliche Erscheinungen von Intoleranz, Fremdenhass, Rassismus, Antiziganismus und Antisemitismus aufmerksam zu beobachten und ihnen entschieden in Wort und Tat entgegenzutreten. „Unsere Demokratie ist nicht selbstverständlich“, sagt Markus Huth, es werde immer Menschen geben, die sie gefährden. Er appelliert an uns alle, die Lehre aus der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus zu ziehen und „sich mutig für unsere Demokratie einzusetzen, sie zu verteidigen und zu stärken. ‚Weimar ist nicht daran zugrunde gegangen, dass es zu früh zu viele Nazis gab, sondern dass es zu lange zu wenig Demokraten gegeben hat‘, dieses Zitat von Altbundespräsident Richard von Weizsäcker muss für uns Warnung und Auftrag zugleich sein.“
Huth dankt im Namen des gesamten Vorstands des Vereins „Weilburg erinnert“ Ralph und Sabine Gorenflo von WEILBURG-TV für die Aufzeichnung und Produktion des Gedenkstreams sowie seinen Vorstandskolleginnen Martina Hartmann-Menz und Martina Zimmermann für die inhaltliche und organisatorische Vorbereitung der virtuellen Veranstaltung. „Nicht schweigen, nicht verschweigen. Gedenken, Namen nennen, Lebensgeschichten aus dem Todesdunkel der Lager, Mordanstalten und Ghettos befreien – und dies für alle Opfergruppen. Dafür werden wir uns auch in Zukunft einsetzen.“