WEILBURG/BERLIN. Junge Menschen aus Weilburg setzten sich auf einer Bildungs- und Gedenkstättenfahrt in Berlin mit der Geschichte Deutschlands auseinander. Die Fahrt, organisiert vom Verein „Weilburg erinnert“, fand vom 17. bis 20. März statt und hatte das Motto „Erinnerung als Chance für Zivilcourage“. 30 Schülerinnen und Schüler von drei Schulen hatten sich durch ein Motivationsschreiben bei „Weilburg erinnert“ für einen der kostenlosen Plätze beworben und 20 wurden ausgewählt.
Die Fahrt bot den jungen Menschen die Möglichkeit, sich mit der Entrechtung und Ermordung von Millionen von Menschen durch das NS-Regime auseinanderzusetzen. Ein weiterer Schwerpunkt war die Aufarbeitung der Ursachen, Geschichte und Folgen der Diktatur in der Sozialistischen Besatzungszone und der DDR sowie der Prozess der Deutschen Einheit.
Das Programm begann am Freitag mit einer Plenarsitzung im Deutschen Bundestag, zu der der heimische Bundestagsabgeordnete Markus Koob die Gruppe eingeladen hatte. Die Teilnehmenden erlebten auf der Besuchertribühne im Plenarsaal eine Debatte zum Thema „Energiesicherungsgesetz“ hautnah mit und hatten im Anschluss die Gelegenheit, Fragen an den Abgeordneten zu stellen. Ein Besuch der imposanten Kuppel im „Zentrum deutscher Demokratie“ durfte zum Abschluss des ersten Tages natürlich nicht fehlen.
Am Samstag besuchte die Gruppe zunächst die Topographie des Terrors. Das Gelände nahe des Potsdamer Platzes diente zwischen 1933 und 1945 als Hauptinstanz des nationalsozialistischen Terrors. Heute ist es ein Erinnerungsort, den die Gruppe in hoch spannenden und erkenntnisreichen Führungen durch zwei Historiker besichtigte.
Am Nachmittag führte die Fahrt zur Gedenkstätte Deutscher Widerstand, die eine Bildungsstätte zur Erinnerung an den gesamten deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist. Die Gedenkstätte ist dabei in einem historisch bedeutsamen Ort untergebracht, dem sogenannten „Bendlerblock“. Der Bendlerblock ist einer der wichtigsten Orte der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Am 20. Juli 1944 versuchte Oberst Graf von Stauffenberg vergeblich von hier aus, die NS-Diktatur zu stürzen. Noch in derselben Nacht wurden er und weitere Verschwörer im Innenhof erschossen. Hier hatte die Gruppe die Möglichkeit, in einem dreistündigen Seminar die Gedenkstätte zu erkunden und sich mit den beiden Schwerpunktthemen „Widerstand von Jugendlichen in der NS-Zeit“ und „Widerstand gegen rassenpolitische Verfolgung“ auseinanderzusetzen.
Am Sonntagmorgen ging es schließlich zur Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, einer ehemaligen zentralen Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. In einer Führung durch den ehemaligen Häftling und Zeitzeugen Prof. Matthias Leupold lernten die Teilnehmenden die Haftbedingungen in der DDR kennen und erhielten Einblicke in das Leben der politischen Gefangenen.
Am Sonntagnachmittag führte der Verein „Berliner Unterwelten“ die Gruppe durch den Fichtebunker in Berlin-Kreuzberg. Dieser Bunker wurde 1940 als „Mutter-Kind-Bunker“ mit sechs Etagen und einer drei Meter dicken Decke im Rahmen des Bunkerbauprogramms für die Reichshauptstadt gebaut. Während des Zweiten Weltkriegs bot er zunächst 6.500 Müttern und Kindern Schutz vor Bombenangriffen, später mussten sich bis zu 30.000 Menschen im Inneren des Bunkers drängen. Im April 1945 wurde der Fichtebunker von der Roten Armee besetzt und danach als Auffanglager für Flüchtlinge und Ausgebombte genutzt. In der Kelleretage befand sich auch ein Gefängnis.
Am letzten Tag besuchten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Ausstellung „Hitler – wie konnte es geschehen“ im Berlin Story Bunker, um ihr Wissen zu festigen. Die Dokumentation erstreckt sich über drei Etagen und mehr als 3.000 Quadratmeter in einem ehemaligen Luftschutzbunker von 1942. Sie erklärt umfassend den Terror der Nationalsozialisten, den Aufstieg der Partei und Hitlers letzter Unterschlupf, der Führerbunker. In 38 Themenbereichen wird gezeigt, wie Hitler zum Nazi wurde, wie er an die Macht kam und wie der Antisemitismus zu Konzentrationslagern und dem Holocaust führte. Die Dokumentation zeigt auch das Leid der Opfer und die Länder, die nicht helfen wollten.
Die Teilnehmenden stellten im Anschluss an den Besuch mit Kurzpräsentationen ihre wesentlichen Erkenntnisse sich gegenseitig vor.
Bevor es dann mit dem Zug wieder zurück nach Weilburg ging, besuchten die Teilnehmenden noch den Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde. Damit wurde ein Blick auf die eigene Region gelenkt, da die Oberlahn-Region mit einem Zwangssterilisationskrankenhaus in Weilburg, einer Hungeranstalt in Weilmünster und einer Tötungsanstalt in Hadamar besonders in die NS-Krankenmordmaschinerie verstrickt war.
Die Fahrt war für die jungen Menschen eine intensive Erfahrung und Gelegenheit, sich mit der Geschichte Deutschlands auseinanderzusetzen. Der Verein „Weilburg erinnert“ bietet regelmäßig Bildungs- und Gedenkstättenfahrten an, um die Erinnerung an die Verbrechen des NS-Regimes wachzuhalten und die Bedeutung von Zivilcourage zu betonen. Diese Fahrt war die erste speziell für interessierte Schülerinnen und Schüler.
Die Teilnehmenden waren mit der Fahrt zufrieden und lobten die Organisation: „Vielen lieben Dank für diese coole und aufregende Fahrt. Wirklich ein sehr großes Lob an die ganze Organisation, besser ging es um ehrlich zu sein fast nicht. Man konnte sich sehr gut weiterbilden oder ganz neu in die Thematiken einsteigen und hatte aber zusätzlich immer noch genug Freizeit, um auch so etwas von Berlin zu sehen.“
Auch der Verein freut sich sehr über dieses neue Bildungsangebot für junge Menschen: „Unsere erste Bildungs- und Gedenkstättenfahrt für junge Menschen war ein voller Erfolg. Wir haben uns gemeinsam mit 20 jungen Menschen intensiv mit unserer Vergangenheit auseinandergesetzt und einen wesentlichen Beitrag zur Förderung des Demokratieverständnisses bei den Teilnehmenden geleistet“, meint Markus Huth, Vorsitzender des Vereins „Weilburg erinnert“. Er dankte besonders den Schulleiterinnen und Schulleitern der Schulen, die durch die Unterrichtsfreistellung überhaupt erst dieDurchführung der Fahrt ermöglicht hätten.
Weiterhin dankte er den Sponsoren und Förderern, die es dem Verein möglich gemacht haben, die Fahrt für die Teilnehmenden kostenlos anzubieten: Hessisches Kultusministerium, Renate Stömbach Stiftung, Lions Club Weilburg, Rotary Club Weilburg, Axel Springer Stiftung und die WILINABURGIA.
„Aufgrund des großen Erfolges planen wir auch in 2024 wieder eine Bildungs- und Gedenkstättenfahrt für junge Menschen nach Berlin“, freut sich Martina Zimmermann, Schriftführerin und Verbindungsperson zu den Schulen.