Die Würde des Menschen ist unantastbar
(Jürgen Weil). Zur Erinnerungskultur der Schulen gehört die Beschäftigung mit der Geschichte der Menschenrechte. Artikel 1, Satz 1 unseres jetzt 70 Jahre alten Grundgesetzes beeindruckt junge Menschen besonders: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Diese zentrale Aussage ist vom Villmarer Steinmetz Gerhard Höhler im Auftrag des Vereins „Weilburg erinnert“ auf einer Granitplatte verewigt, sie wurde am historischen Gebäude der Kreis- und Stadtbücherei in der Mauerstraße im Beisein von Bürgermeister Johannes Hanisch am 27. Januar 2020, dem Holocaustgedenktag, angebracht.
Am 23. Mai 2019 feierte die Bundesrepublik Deutschland mit der Verkündung ihres Grundgesetzes durch den Parlamentarischen Rat am 23. Mai 1949 sozusagen ihren 70. Geburtstag. In der Präambel steht, geprägt durch die bitteren Erfahrungen eines furchtbaren Krieges: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“ Der Vorstand des Vereins „Weilburg erinnert“ hat bewusst den 27. Januar als Präsentationstag gewählt, „weil der Holocaustgedenktag auch die Bedeutung des ersten Grundgesetzartikels bewusst macht“, sagt Vorsitzender Markus Huth.
„Weilburg erinnert“ hatte anlässlich des 70. Jahrestages in 2019 bereits 12- bis 16-jährige Schülerinnen und Schüler des Gymnasium Philippinum, der Heinrich-von-Gagern-Schule und der Jakob-Mankel-Schule in Weilburg sowie 14- 25-jährige Schüler der Fürst-Johann-Ludwig-Schule in Hadamar, der Glasfachschule und der Staatlichen Technikakademie Weilburg nach der Bedeutung des Grundgesetzes und der in den Artikeln 1 – 19 niedergelegten Grundrechte für ihr Leben gefragt. Knapp 40% personalisieren ihre Antworten freiwillig durch ihre Unterschrift. Über ihre Lehrerinnen und Lehrer, die mit ihnen das Thema im Unterricht vertieft haben, reichen sie bemerkenswerte Äußerungen ein. „…weil dadurch der Erhalt der Bundesrepublik Deutschland und der Demokratie gesichert ist“, ist eine zentrale Erkenntnis, „es gibt mir ein Gefühl der Sicherheit.“ Das Grundgesetz sei „die freiheitlichste Verfassung der deutschen Geschichte“, weiß ein Schüler, im Mittelpunkt stehe „der Mensch und seine Rechte.“ Der Wert von „Frieden und Freiheit“ wird hervorgehoben.
„Nur durch ein solches Grundgesetz ist ein geordnetes Leben in Freiheit, freier Entfaltung, Gerechtigkeit und Demokratie möglich“, schreibt ein anderer. Wichtig ist den jungen Menschen, dass Freiheits- und Gleichheitsrechte garantiert sind, „dass Frauen gleichberechtigt sind und genauso behandelt werden wie Männer“. Artikel 3 sei aber „nicht wirklich umgesetzt“, kritisiert eine Schülerin und nennt die ungleichen Gehälter bei Männern und Frauen. Der Staat habe die Pflicht, „bestehende Nachteile“ zu beseitigen, wird ausdrücklich Artikel 3 (2) zitiert. Andere heben die Bedeutung der Meinungsfreiheit (Artikel 5) hervor, „man muss keine Angst haben, seine Meinung zu sagen und dazu zu stehen“. Auch die Pressefreiheit erscheint bedeutsam, „weil wir …(uns) über jedes Thema informieren können.“ Eine Schülerin wünscht sich aber auch für Deutschland „ein Grundgesetz, wo man mehr auf die Umwelt achtet.“
Schülerinnen und Schülern mit Migrations- und Fluchthintergrund haben vielfältige Beiträge formuliert, in welchen sie die Lebenswirklichkeit in ihren Herkunftsländern vor dem Hintergrund der grundgesetzlich garantierten Freiheiten und Möglichkeiten in der Bundesrepublik Deutschland beleuchten. Sie wünschen sich häufig „für das Land aus dem ich komme“, das Grundrecht auf „Freiheit der Person“ (Art. 2) und die „Meinungsfreiheit“ (Art. 5), „…weil man sonst aufpassen muss, was man sagt“. Dabei werden die Ängste vor willkürlichen Verhaftungen angesprochen, auf Syrien bezogen, aber auch auf die Türkei. Primär junge Frauen benennen die in ihren Ländern nicht umgesetzte Gleichberechtigung der Geschlechter. Dazu sagt eine Schülerin deutlich: „Männer sind bevorzugt, verdienen mehr und sind lieber gesehen. Das darf nicht sein!“
Immer wieder zitieren die Jugendlichen den Artikel 1, schreiben bewusst in großen Buchstaben: DIE WÜRDE DES MENSCHEN IST UNANTASTBAR, weil „jeder Mensch gleich ist, egal welche Herkunft, Religion und welches Geschlecht er hat“, weil jeder „gleich viel Würde und Ehre hat“ und „geschützt werden muss“, niemand „bloßgestellt werden darf“. Man sollte „jeden Menschen so respektieren, wie er ist…egal wie er aussieht…welche Hautfarbe er hat.“ Eine Kurdin: „Ich bin kein schlechter Mensch, weil ich aus einer bestimmten Volksgruppe komme! Ich wünsche mir überall auf der Welt Respekt, nicht nur gegenüber Kurden, sondern auch für all die anderen Menschen, die unterdrückt werden. Mensch ist Mensch!“
Bei sehr vielen Befragten häufig die Formulierung: „Jeder Mensch ist gleich viel wert.“ Oder auch: „Das Anderssein macht eine offene Gesellschaft aus.“ Und wie ein Resümee liest sich: „Je vielfältiger eine Gesellschaft, desto interessanter.“
Foto (Weil): Steinmetz Höhler hat die Gedenktafel neben dem Eingang der Stadtbücherei angebracht, Markus Huth hält dazu (bei Regen) seine Ansprache.
Markus Huth bei der Einweihungszeremonie:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schülerinnen und Schüler,liebe Mitglieder des Vereins „Weilburg erinnert“, sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Johannes Hanisch, sehr geehrter Herr Steinmetz Gerhard Höhler, ich möchte Sie im Namen des gesamten Vereinsvorstandes recht herzlich begrüßen zur Enthüllung der von „Weilburg erinnert“ anlässlich des 70-jährigen Grundgesetz Jubiläums gestifteten Gedenktafel.
Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz erlassen. Unser Grundgesetz ist damit im Mai vergangenen Jahres stolze 70 Jahre alt geworden. Dies hat unser Verein zum Anlass genommen, eine der wichtigsten Aussagen – wenn nicht sogar die wichtigste Aussage – auf einer Granitplatte sandstrahlen zu lassen und an einem zentralen und gleichzeitig geschichtsträchtigen Ort der Weilburger Altstadt für alle Bürgerinnen und Bürger dauerhaft sichtbar zu machen.
„Wer nicht erinnert, vergisst – wer vergisst, kann schuldig werden“
lautet die Präambel in unserer Vereinssatzung. Artikel 1 unseres Grundgesetzes ist für unseren Verein eine wichtige Norm, die Grundlage unseres Handels ist: Mit unseren vielfältigen Veranstaltungen und Aktionen möchten wir all jenen Menschen, die in der Vergangenheit die Menschenwürde abgesprochen bekommen haben oder deren Menschenwürde stark eingeschränkt wurde, ihre Menschenwürde zurückgeben und durch das „Erinnern“ auch gleichzeitig dazu beitragen, dass die Menschenwürde keinem Menschen auf dieser Welt je mehr abgesprochen wird.
Das damals knapp 1 400 Gramm schwere Buch mit dem Titel „Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland“ war der Grundstein unseres Rechtstaates und der Beginn einer bis heute andauernden Erfolgsgeschichte. Nach Jahren der Diktatur, der Menschenverachtung, der Vernichtung entstand aus diesem Deutschland innerhalb sehr kurzer Zeit ein funktionierender Rechtsstaat, dem die Wahrung der Menschenrechte oberstes Prinzip ist.
Das Grundgesetz vereint und definiert unsere Grundwerte. Diese Werte – Demokratie, Sozialstaat, Rechtsstaat und einige mehr – sind das Fundament, auf dem unser Staat und unsere Gesellschaft stehen. Sie sind nicht selbstverständlich.
Wir müssen – gerade in der aktuellen politischen Zeit – aktiv für demokratische, rechtsstaatliche Prinzipien einstehen. Und dazu trägt auch unsere Gedenkplatte mit dem eindrucksvollen Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ bei.
Mein besonderer Dank gilt Herrn Gerhard Höhler aus Villmar für die Herstellung der Gedenkplatte und Herrn Bürgermeister Dr. Johannes Hanisch, der uns dankenswerter Weise die Möglichkeit gibt, die Gedenkplatte an diesem städtischen Gebäude, das schon immer der Bildung des Menschen diente und dient,zentral im Herzen der Weilburger Altstadt, in unmittelbarer Nähe zum Rathaus, der Aula „Komödienbau“ und dem Marktplatz anbringen zu können.