Opfer der NSU-Anschläge eröffnet Wanderausstellung in Weilburg
Von Andreas E. Müller
Mehmet O. fiel im Jahr 1999 einem Mordschlag des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) zum Opfer, überlebte aber schwerverletzt. Da war er gerade einmal 18 Jahre alt und hatte in seiner Geburts- und Heimatstadt Nürnberg eine Kneipe eröffnet. Bei Reinigungsarbeiten in der Toilette fand er eine Taschenlampe. Als er ausprobieren wollte, ob sie funktioniert, explodierte sie. 24 Jahre nach dem Anschlag hat Mehmet O. (den Namen hat er selbst zu seinem Schutz geändert) in Weilburg die Ausstellung „Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung ihrer Verbrechen“, initiiert vom Verein „Weilburg erinnert“, eröffnet und über seine Erlebnisse gesprochen. Begleitet wurde er von Birgit Mair vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung (ISFBB) in Nürnberg. Sie ist gleichzeitig Kuratorin der Ausstellung.
Im Treffpunkt in der Schwanengasse reichten die Stühle nicht aus, so groß war das Interesse. Grüße des Hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU) überbrachte Martin Rößler, Regierungsvizepräsident des Regierungspräsidiums Gießen. „Wir müssen daran arbeiten, die Demokratie zu stärken und Extremismus zu bekämpfen“, sagte Rößler. Weilburgs Bürgermeister Johannes Hanisch (CDU) dankte dem Vorsitzenden Markus Huth für die Arbeit seines Vereins „Weilburg erinnert“ und die Präsentation dieses wichtigen Themas. „Aufklärung ist unser gemeinsames Ziel“ sagte Hanisch und verwies auf Artikel 1 des Grundgesetztes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. „Damit ist alles gesagt“, so Hanisch.
Extra aus Berlin angereist war Irmela Mensah-Schramm. Sie ist dafür bekannt, dass sie rechtsextreme Schmierereien, Aufkleber und Graffiti entfernt oder übersprüht, ganz nach dem Motto „Mit bunter Farbe gegen braune Parolen“. In Weilburg bietet sie Workshops am Gymnasium Philippinum und der Gagernschule an – veranstaltet durch „Weilburg erinnert“.
Mehmet O. erzählte, dass er nach dem Attentat aus Angst seine Heimatstadt Nürnberg verlassen habe. Er drückt seine Enttäuschung über die Polizeiarbeit aus. Sie hätten ihm zwar Fotos zur Identifizierung vorgelegt, aber nicht gesagt, dass es ein Attentat des NSU war. Das habe er erst später von einem Journalisten erfahren. „Ich wusste auch nicht, wer mich aus welchem Grund umbringen wollte“, berichtete er. Besonders schlimm fand er aber, dass er sich im Zuge der polizeilichen Ermittlungen mit Vorwürfen und Rassismus konfrontiert sah. „Ich habe mich nicht als Opfer, sondern als Beschuldigter gefühlt“, führte er aus. „Lange habe ich mich deshalb versteckt, heute rede ich und habe keine Angst mehr“.
Für Birgit Mair ist es nicht nachvollziehbar, dass die Ermittlungen der Polizei nur in Richtung fahrlässige Körperverletzung und nicht versuchter Mord gingen. Ans Licht gekommen ist so manches erst 2013 durch die Aussage eines ehemaligen Nazis, der aus der Szene ausgestiegen war. Danach gab es fünf Verurteilungen, gegen neun Tatverdächtige laufen weitere Ermittlungsverfahren. Mehmet O. hat sich nach 23 Jahren im Jahr 2022 mit anderen Opfern in seiner damaligen Kneipe getroffen. „Endlich konnten wir auch mal wieder lachen“, sagt er. Noch heute hegt Mehmet O. Groll wegen des Umgangs mit ihm. Sein Vertrauen in staatliche Institutionen wurde erschüttert.
Die Ausstellung ist in Weilburg in der Schwanengasse freitags 16 bis 20 Uhr, samstags 14 bis 19 Uhr und sonntags von 11 bis 18 Uhr zu sehen. Am 3. Oktober ist sie von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Nach Voranmeldung ist auch ein Besuch von Schulklassen oder Gruppen möglich. Tel: 06471/42 99 113 oder E-Mail: info@weilburg-erinnert.de Der Eintritt ist frei. Der Verein „Weilburg erinnert“ bittet aber um Spenden.
Die 20-jährigen Zwillingsschwestern Lea und Laura Brehme sind Ausstellungsbetreuerinnen. Nach dem Vortrag von Mehmet O. sagt Lea: „Es ist sehr schwer, das alles aufzunehmen. Es ist grausam, was passiert ist. Das ist aber für mich Beweggrund, etwas zu tun.“ Erschreckend findet sie den enormen Zulauf der AfD. Laura: „Die Auseinandersetzung mit Rassismus ist wichtig, weil er in der Gesellschaft präsent ist und oft schon im Alltag beginnt. Rassismus ist anscheinend normal geworden. Ich will etwas dagegen tun.“ Für Laura war das Tagebuch der Anne Frank der Schlüssel, sich mit dem Thema auseinanderzusetzten. „Ich habe das Buch gelesen, wollte dann wissen und verstehen, wie es dazu kam.“
Der Zeitungsbericht erschien am 21.09.2023 im Weilburger Tageblatt. Der Text wurde uns von dem Autor Andreas E. Müller zur Nutzung auf unserer Homepage zur Verfügung gestellt.